Kandelaber: ESTI-Weisung elegant umgesetzt

Die gesetzlich geforderte Dokumentation der Windlastberechnung bei Kandelabern gemäss ESTI 244, Abs. 5, stellt Gemeinden, Städte und Betreiber öffentlicher Beleuchtung seit Jahren vor grosse Herausforderungen: erheblicher Aufwand, unübersichtliche Strukturen, hohe Kosten. Ein gemeinsam mit der ETH Zürich entwickeltes Verfahren der Schweizer Prüfstelle für Elektrotragwerke (SPET) bietet nun eine wirtschaftlich tragbare und wissenschaftlich fundierte Lösung.

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Erst eine Windlastberechnung macht sichtbar, ob ein Kandelaber ganz oder teilweise – zum Beispiel im Bereich der Masttüre – ­statisch unterdimensioniert ist.
Quelle: Spet

Die Anforderungen an die öffentliche Beleuchtungsin­frastruktur steigen – nicht nur im Hinblick auf Energieeffizienz und Lichtqualität, sondern auch im Bereich der Normkonformität. Eine oft übersehene, aber verbindliche Vorschrift sorgt dabei regelmässig für Kopfzerbrechen: Die Dokumentationspflicht zur Windlastberechnung von Kandelabern gemäss ESTI 244, Absatz 5. Eine Verpflichtung, die in der Praxis nicht selten zum Papiertiger verkommt – zu aufwendig, zu teuer, zu realitätsfern.

Dabei steht die eigentliche Intention der Vorschrift ausser Frage: Sicherheit. Kandelaber stehen an Verkehrsachsen, Schulwegen, in Wohnquartieren – überall dort, wo Menschen unterwegs sind. Ihr statischer Zustand unter Windbelastung ist sicherheitsrelevant. Dennoch scheitert die korrekte Umsetzung häufig am Aufwand, der betrieben werden müsste, um jeden einzelnen Mast mit den entsprechenden Parametern zu dokumentieren und zu bewerten. Es mangelte bislang schlicht an einer praktikablen Lösung.

Wenn die Theorie an der Realität scheitert

Die gesetzlich geforderte Dokumentation verlangt die Berücksichtigung sämtlicher statischer Parameter: Eigengewicht der Leuchte, Grösse und Material von Schildern oder Kameras, Windzone nach SIA 261, Geländekategorie – alles muss individuell erhoben, berechnet und dokumentiert werden. Besonders kritisch ist dabei die Realität vieler Gemeinden: Anlagen, die historisch gewachsen und nie zentral erfasst wurden, Lasten, die über Jahre hinweg ergänzt wurden – nicht selten ohne jegliche statische Nachberechnung.

Was folgt, ist ein Dilemma: Die korrekte Berechnung jedes einzelnen Masts durch einen Bauingenieur oder Statiker ist wirtschaftlich kaum tragbar. Selbst dort, wo man bereit ist, in die Nachdokumentation zu investieren, scheitert das Vorhaben oft an fehlenden Grundlagen oder der Unübersichtlichkeit der gewachsenen Infrastruktur.

«Viele Betreiber versuchen, das Problem auszusitzen», erklärt Fabian Wespi, Geschäftsführer der Schweizer Prüfstelle für Elektrotragwerke. «Die Norm ist bekannt, aber es fehlt an einem gangbaren Weg für die Umsetzung. Die Gefahr besteht, dass es erst bei einem Schadensfall relevant wird – mit allen rechtlichen und finanziellen Konsequenzen.» Dabei hätte gerade eine gute Dokumentation einen grossen Mehrwert: Sie schafft Klarheit, erhöht die Betriebssicherheit und vereinfacht zukünftige Investitionsentscheide.

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Typische Ausgangslage: Über die Jahre wurden zahlreiche Zusatzlasten wie Schilder an bestehende Kandelaber angebracht – ohne statische Nachberechnung. Ein schief stehender Kandelaber ist ein deutlicher Warnhinweis für eine Überbelastung.
Quelle: Spet

Vom Problem zur Lösung: ein neuer Weg entsteht

Gemeinsam mit der ETH Zürich entwickelte die SPET deshalb ein Verfahren, das die Herausforderungen der Praxis ernst nimmt – und sie in eine wissenschaftlich validierte Lösung überführt. Ziel war es, die gesetzlich geforderte Dokumentation nicht nur zu erfüllen, sondern gleichzeitig praxistauglich, wirtschaftlich und zukunftssicher zu gestalten. Kernpunkte des neuen Ansatzes sind:

Intelligente Datenerhebung statt Vor-Ort-Grossaufwand: Im Zentrum steht eine standardisierte Erfassung der relevanten Parameter wie Masttyp, Materialgüte, Materialstärke, sichtbare Anbauten, Position und Dimension der Türöffnung, geografische Lage, Windzone. Diese Daten können durch eine Vor-Ort-Erhebung durch SPET aufgenommen werden – ohne dass ein Bauingenieur mit Stundenaufwand an jedem Standort tätig werden muss.

Automatisierte Bewertung jeder Einzelanlage: Die erfassten Daten fliessen in ein automatisiertes Auswertungssystem, das eine normenkonforme Bewertung der Tragfähigkeit und Windlastreserven jedes einzelnen Kandelabers erstellt. Wie die Grafik an drei Beispielen illustriert, berücksichtigt die Analyse dabei auch kumulierte Lasten, z. B. durch Strassenschilder oder Wegweiser, die über die Jahre hinzugefügt wurden.

Simulation zukünftiger Belastungen: Ein besonderer Vorteil ist, dass die Simulation es auch erlaubt, mögliche künftige Lasten zu prüfen. So kann bereits vor dem Anbringen zusätzlicher Schilder oder Kameras geklärt werden, ob der Mast dafür überhaupt geeignet ist – und falls nicht, welche Massnahmen nötig wären.

Dokumentation und Handlungsempfehlung: Das Ergebnis ist eine Dokumentation der Windlastberechnung gemäss ESTI 244, Abs. 5, inklusive statischer Bewertung, Empfehlungen für Ertüchtigungsmassnahmen sowie eine Prognose über die zukünftige Nutzung des Masts.

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Durch Überbelastung kommt es zur Materialermüdung – Risse an der Masttüre sind oft der Anfang und führen zum Mastbruch.
Quelle: Spet

Erfolgreich im Einsatz – ein Fallbeispiel aus der Praxis

Die Aziende Industriali di Lugano SA (AIL) betreibt über 25 000 öffentliche Beleuchtungsmasten. In der Vergangenheit erhielt das Unternehmen immer wieder Anfragen, insbesondere von der Polizei, zur Anbringung zusätzlicher Lasten wie Schilder oder Kameras an bestehenden Kandelabern. Da intern weder die Ressourcen noch die statische Expertise für eine fundierte Beurteilung vorhanden waren, fehlte lange eine verlässliche Entscheidungsgrundlage. Der Handlungsdruck stieg, zumal bei jeder Anfrage die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften gewährleistet werden musste.

Gemeinsam mit der SPET wurde eine strukturierte Lösung etabliert: Jährlich werden rund 1500 Masten systematisch geprüft und die Windlastberechnung gemäss ESTI 244, Abs. 5, aktualisiert. Neue Anfragen können so schnell und rechtssicher beurteilt werden – mit zertifiziertem Nachweis oder einer begründeten Ablehnung. AIL steuert nun zielgerichtet auf eine vollständige und rechtssichere Dokumentation ihres Mastenbestands zu – und gewinnt damit Sicherheit, Planbarkeit und Effizienz.

Die wichtigsten Vorteile im Überblick:

  • Reduktion der Kosten gegenüber Einzelstatiken um bis zu 80 %
  • Wissenschaftlich fundierte Bewertung jedes einzelnen Kandelabers
  • Schnelle Umsetzung mit geringer interner Belastung
  • Rechtssicherheit durch vollständige Konformität mit ESTI 244, Abs. 5
  • Langfristige Planbarkeit durch Simulation zukünftiger Belastungen
  • Praxistaugliche Handlungsempfehlungen zur Ertüchtigung oder Erneuerung

Dokumentation als Chance

Die Normvorgabe ESTI 244, Abs. 5, muss nicht länger ein wirtschaftliches oder organisatorisches Hindernis darstellen. Mit dem neuen Verfahren von SPET und der ETH Zürich steht erstmals ein Weg offen, der die Anforderungen der Norm mit den realen Bedingungen vor Ort in Einklang bringt.

Infrastrukturbetreiber gewinnen nicht nur Rechtssicherheit, sondern auch Übersicht und Entscheidungsgrundlagen für künftige Entwicklungen. Damit wird aus einer lästigen Pflicht ein strategisches Instrument für Planung, Sicherheit und Effizienz – und aus dem Papiertiger eine tragfähige Lösung.

Und letztlich leistet das Verfahren durch die gezielte Ertüchtigung statt einem pauschalen Ersatz auch einen Beitrag zur nachhaltigen Infrastrukturplanung. Ressourcen werden geschont, bestehende Anlagen sinnvoll weitergenutzt – und gleichzeitig wird der Betrieb sicherer. «Es geht nicht nur um Normen. Es geht um Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit», bringt es Wespi auf den Punkt.

spet.ch