Schweizer Steckersystem: Einzigartig, raffiniert und höchst sicher

Die Anforderungen an moderne Elektroinstallationen und damit auch an das Schweizer Stecker- und Steckdosensystem steigen stetig. Neuerungen – zum Beispiel das IP-55-Nassstecksystem oder der konsequente Einsatz von Steckdosen mit Schutzkragen – erfordern Anpassungen der Standards, wie sie in der Norm SN 441011 vorgenommen wurden. Hier werden die Besonderheiten des Schweizer Steckdosensystems und seine Kompatibilität mit anderen Systemen aufgezeigt und die Massnahmen beschrieben, mit denen die Sicherheit von Elektroinstallationen im Gleichschritt mit den Neuerungen verbessert werden kann.

Schweizer Stecker
Quelle: Electrosuisse

Das Schweizer Stecker- und Steckdosensystem für den Hausgebrauch ist wohl die prominenteste Eigenart helvetischer Elektroinstallationen.

Genau genommen ist die SN 441011 eine Ergänzung zur IEC 60884, einer weltweiten Norm, welche die Anforderungen und Spezifikationen an die elektrischen Eigenschaften wie Spannung, Strom oder Erwärmungsprüfungen etc. für Stecker und Steckdosen definiert. Die Schweizer Norm enthält hauptsächlich die nationalen Abweichungen davon und allem voran das Schweizer Steckerbild.

International ist das Schweizer Steckersystem unter dem Namen «Typ J» bekannt. 1959 wurde die erste Ausgabe dieser Norm unter dem Namen SEV 1011 publiziert. Seither wird sie laufend überarbeitet und verbessert. Das System umfasst die charakteristischen zwei-, drei- und fünfpoligen Stecker, die in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein verwendet werden. Es ist über den Stecker Typ C, den sogenannten Eurostecker (Typ 26), sogar international kompatibel, nämlich für schutzisolierte Geräte mit einem Strom von bis zu 2,5 A.

Der Aufbau ist durchaus raffiniert: Im Gegensatz zu anderen Stecksystemen ist das Schweizer System verpolungssicher (codiert) und platzsparend. Zwei- und dreipolige Stecker können sicher in fünfpolige Steckdosen eingesteckt werden. Stecker mit 10-A-Bemessungsstrom passen in Steckdosen mit 16-A-Bemessungsstrom, umgekehrt jedoch nicht. Aber Achtung: Bei einem zeitlich unbegrenzten Betrieb dürfen die Steckdosen nur zu 80 Prozent belastet werden. Dies ist insbesondere für den Betrieb von Heizungen oder das Laden von Elektrofahrzeugen von Bedeutung. Denn der Dauerbetrieb grosser Lasten kann die Steckdosen beschädigen. Elektrofahrzeuge sind keine Haushaltsgeräte und sollten nur im Notfall über Haushaltsteckdosen geladen werden.

Um den Berührungsschutz sicherzustellen, dürfen seit 2017 keine Steckdosen ohne Schutzkragen (T12) mehr installiert werden. Damit auch die Benutzer von älteren Installationen erfolgreich vor dem Berühren spannungsführender Steckerstifte geschützt sind, werden Stecker der Typen 11, 12 und 21 seit 2009 mit teilisolierten Steckerstiften ausgeführt.

Entgegen der weitverbreiteten, falschen Annahme hat der fachgerechte Austausch eines ausländischen Steckers gegen einen passenden Schweizer Stecker keinen Einfluss auf die Konformität und die gesetzliche Gewährleistungspflicht für das entsprechende Erzeugnis.

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Kupplung
Stecker und Kupplung mit IP-55-Schutz.
Quelle: Electrosuisse
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Stecker
Quelle: Electrosuisse

Neues Nassstecksystem IP 55

Mit der Einführung des neuen Nassstecksystems gemäss Schutzart IP 55 im Jahr 2019 bietet das Schweizer Steckdosensystem eine verbesserte Lösung für den Einsatz in nassen oder staubigen Umgebungen. Die Schutzart IP-55 garantiert sowohl einen vollständigen Schutz gegen Staubablagerungen im Inneren der Steckdose als auch Schutz gegen Strahlwasser aus beliebiger Richtung. Der neu vereinheitlichte IP-55-Standard garantiert den Spritzwasserschutz nun auch im gesteckten Zustand, was zuvor nicht einheitlich normiert war und zum Beispiel bei NUP-Steckdosen nicht realisiert werden konnte. Bisherige IP-44- und IP-55-Steckdosen gelten neu nur noch als IP-21-Steckdosen, da diese Steckdosen den IP-Schutz nur bei geschlossenem Klappdeckel erreichen. Diese neue Regelung, die vor allem für Baustellen, Waschanlagen oder Orte mit Staubablagerungen relevant ist, gilt seit dem 1. Januar 2025.

Single Pin Insert Protection

Der Begriff «Single Pin Insert Protection» (Schutz vor einpoligem Einführen) beschreibt eine Sicherheitsfunktion, die das unabsichtliche Berühren spannungsführender Kontakte verhindert, indem sie verunmöglicht, einen einzelnen Stift eines Steckers in die Steckdose einzuführen. Bei FLF Zargensteckdosen T12 war es beispielsweise möglich, mit Versatz einen einzelnen Steckerstift einzustecken und sich am freiliegenden Stift zu elektrisieren. Bei Steckdosen mit Schutzkragen soll vermieden werden, dass zum Beispiel mit einer Stricknadel oder einem Schraubenzieher spannungsführende Teile erreicht werden können. Realisiert wird dies mit Klappen, sogenannten «Shuttern», die sich nur öffnen, wenn sowohl beim Aussen- als auch beim Neutralleiter ein Steckerstift eingeführt wird.

In der SN 441011 wird diese Schutzfunktion nicht gefordert. In vielen Fällen sorgt die Single Pin Insert Protection für mehr Unmut als Benutzerfreundlichkeit, nicht selten zur gewaltsamen Überwindung der Schutzmassnahme oder gar zur unerlaubten Manipulation der Steckdose oder der Kupplung.

Für den Personenschutz setzt man in der Schweiz auf die folgenden drei Massnahmen:

  1. Alle freizügig verwendbaren Steckdosen sind mit RCD IΔN ≤ 30 mA zu schützen.
  2. Es dürfen nur Steckdosen mit Schutzkragen montiert werden.
  3. Es dürfen nur Stecker mit teilisolierten Stiften in Umlauf gebracht werden.

Damit wird der Personenschutz auf drei Ebenen verbessert. Der Schutz durch RCD garantiert eine schnelle Abschaltung. Steckdosen mit Schutzkragen verhindern ein zufälliges Berühren von spannungsführenden Teilen beim Einstecken sowie das Einstecken veralteter Steckertypen. Stecker mit teilisolierten Stiften verhindern das zufällige Berühren spannungsführender Teile beim Einstecken auch bei der Verwendung alter Steckdosen ohne Schutzkragen.

Stecker und Dose
Berührungsschutz dank teilisolierten Steckerstiften auch bei T12-Steckdosen.
Quelle: Electrosuisse

Wann ist eine Steckdose freizügig verwendbar?

Gemäss NIN 2025 sind Steckvorrichtungen freizügig verwendbar, wenn sie frei zugänglich sind und wenn das Steckerbild den Anschluss von Verbrauchsmitteln ermöglicht. Die Frage nach der freizügigen Verwendung von Steckdosen bezieht sich einerseits auf den Schutz mit RCD IΔN ≤ 30 mA, welcher für alle freizügig verwendbaren Steckdosen Pflicht ist, andererseits auf Massnahmen, die bestimmte Steckdosen explizit der Verwendung durch Laien entziehen sollen. Weiter ist eine Steckdose freizügig verwendbar, wenn sie zur uneingeschränkten Verwendung für den Betrieb von transportablen Betriebs- und Verbrauchsmitteln angeordnet ist. In Wohnbauten sind grundsätzlich alle Steckdosen freizügig verwendbar.

Soll eine Steckdose explizit nicht freizügig verwendet werden können, kann dies durch eine der folgenden Massnahmen erreicht werden:

  • Verwenden eines Steckerbildes, welches nicht freizügig verwendbar ist (≠ 6 h – z. B. 1 h-Position bei CEE-Steckdosen)
  • Abschliessen der Steckdose
  • Anordnung hinter einer Abdeckung, die nur mit Werkzeug oder Schlüssel entfernt werden kann
  • Weitere Möglichkeiten sind die Anordnung in Bereichen mit begrenztem Zugang oder das Einschalten von Steckdosen ausschliesslich bei Bedarf

Technische Massnahmen taugen weitaus mehr als organisatorische. Warnaufschriften bewirken nicht selten das Gegenteil des Erwünschten, nämlich den unbefugten Gebrauch. Weiter ist eine Anordnung ausserhalb des Handbereichs, beispielsweise an der Decke eines Raumes, keine taugliche Massnahme, um eine Steckdose der freizügigen Verwendung zu entziehen.

Das Schweizer Stecksystem hat sich über Jahrzehnte als zuverlässiger Standard etabliert und bietet sowohl technische Raffinesse als auch höchstmögliche Sicherheit im Betrieb. Die stete Weiterentwicklung des Systems unterstreicht das Engagement der Branche für einen zuverlässigen Personen- und Sachenschutz auf höchstem Niveau.

Wissenswert

Das Schweizer Haushaltsstecksystem Typ J ähnelt dem System Typ N, welches in Brasilien und teilweise in Südafrika Verwendung findet. Die Systeme sind jedoch nicht miteinander kompatibel: die PE-Buchse hat einen unterschiedlichen Abstand und die L- und N-Buchsen sind vertauscht. Zweipolige Schweizer Stecker Typ 11 passen zwar in diese Steckdosen, umgekehrt gibt es aber keine Kompatibilität.

Wichtig

Die Gehäusefarbe einer CEE-Steckdose sagt nichts über die freizügige Verwendung aus. Farbkennzeichnung und Schutzkontaktstellung geben die Nennspannung der Steckdose vor. Die Kennzeichnung kann auch mit farbigen Ringen erfolgen.