Bedroht der Fachkräftemangel die Energiewende?

Um die Energiewende zu schaffen und die gesetzten Klima- und Energieziele zu erreichen, braucht es Tausende zusätzliche Fachkräfte. Doch die Branche kämpft bereits jetzt mit Nachwuchssorgen – was also tun? Für eine erste Entspannung soll unter anderem die «Bildungsoffensive Gebäude» sorgen.

Fachkräfte

Die Ziele sind ehrgeizig: Die Schweiz will bis 2050 klimaneutral sein. Das heisst, es sollen nicht mehr Treibhausgase ausgestossen werden, als natürliche und künstliche Speicher aufnehmen können. Eine zentrale Rolle zum Erreichen dieses Ziels spielt die Gebäudebranche. Fast eine Million fossile Heizungen müssen ersetzt und unzählige Gebäude saniert und modernisiert werden. Dazu gesellt sich ein grossflächiger Ausbau von Wind- und insbesondere Photovoltaikanlagen. Die theoretischen Pläne des Bundes sehen auf den ersten Blick vielversprechend aus. Doch, nebst Politik, Unternehmen und Rohstoffen, wird vor allem eine besondere Zutat für diesen Wandel benötigt: genügend Fachkräfte. Und an diesen fehlt es an allen Ecken und Enden, insbesondere in den stark nachgefragten Berufszweigen HLK (Heizung, Lüftung und Klima) sowie der Elektrobranche, wie ein Blick auf die Erwerbslosenquote in Verbindung mit der hohen Anzahl offener Stellen bestätigt. Mit über 6300 offenen Stellen sind Elektromonteure laut X28-Jobradar sogar die zweithäufigst nachgefragte Fachkraft überhaupt. Mehr offene Stellen gibt es lediglich noch im Pflegebereich. Ein weiteres Problem, welches sich nach einem Blick in die Statistiken des Bundes zeigt, ist, dass die Nachwuchszahlen in den vergangenen Jahren stagnieren, in den vergangenen zwei Jahren sogar leicht rückläufig waren.

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Um die gesetzten Energieziele zu erreichen, benötigt die Solarbranche in den nächsten Jahren 10000 bis 15000 Vollzeitstellen.
Quelle: iStock-Si-Gal / Helion / BFE / Swissolar / iStock-ArtistGNDphotography
Da man mit bestimmten Voraussetzungen direkt ins dritte Lehrjahr einsteigen kann, werden bereits 2025 die ersten Solarinstallateure EFZ abschliessen.
Rita Hidalgo, Leiterin Bildung und Wissensmanagement Swissolar

Situation erkannt, Gefahr gebannt?

EnergieSchweiz, ein Rahmenprogramm des Bundesamtes für Energie für Energieeffizienz und erneuerbare Energien, hat die Signale der Branche aufgenommen, da immer offensichtlicher wurde, dass die Situation prekär ist und Gegensteuer nötig wird. Mit der «Bildungsoffensive Gebäude» wurde Ende 2021 gemeinsam mit der Branche eine Roadmap mit 32 Massnahmen erarbeitet, um die Situation der fehlenden Fachkräfte zu entspannen. Die übergeordneten Ziele liegen in der Gewinnung neuer Fachkräfte, der Bindung bestehender Arbeitnehmer sowie deren Kompetenz-Stärkung. Um diese Ziele zu erreichen, wurden mehrere Handlungsfelder definiert. Diese reichen von der Stärkung der Bildung und branchenübergreifenden Zusammenarbeit bis hin zur Steigerung der Attraktivität der Berufe und Verbesserung des Images. Die Umsetzung liegt in Händen der Branche, respektive der Unternehmen, Energie- Schweiz wirkt koordinativ und kann eine Plattform für die Branche bieten sowie zielgerichtete Projekte finanziell unterstützen.

Im vergangenen Jahr konnten wir bereits fast ein Dutzend Projekte unterstützen.
Kornelia Hässig, Projektleiterin Bildungsoffensive Gebäude

Bildungsoffensive legt guten Start hin

Erste Programme wurden bereits mit Erfolg gestartet und durchgeführt. «Im vergangenen Jahr konnten wir bereits fast ein Dutzend Projekte unterstützen», wie Kornelia Hässig, Leiterin Aus- und Weiterbildung im Bereich Energie und Projektleiterin der Bildungsoffensive Gebäude auf Nachfrage bestätigt. «EIT.swiss lancierte beispielsweise die Kursreihe ‹Fit für die Energiezukunft›, bei welcher Berufstätige ihre Kompetenzen aktualisieren und spannende Weiterbildungen besuchen können. Der Schweizer Ingenieur- und Architektenverein SIA wiederum engagiert sich mit neuen Angeboten zu ‹Klimagerecht Bauen›» und die Suissetec führt neu schweizweit Bildungscoaches ein, um den hohen Lehrvertragsauflösungs – und Durchfallquoten in der Branche zu begegnen», so Kornelia Hässig weiter.

Riesiges PV-Potenzial

Wohl eine der grössten Baustellen in Sachen «Gebäude» liegt auf deren Dächern. Geht man davon aus, dass bis zum Jahr 2050 rund 40 Prozent des Strombedarfs durch Photovoltaik abgedeckt werden sollen, benötigt die Solarbranche je nach Berechnungsgrundlage in den nächsten Jahren mindestens 10 000 bis 15 000 Vollzeitstellen. Ein Grossteil davon wird für die Montage, Installation und Reparaturen der Solaranlagen gebraucht. Ein wichtiger Schritt, um den rasch wachsenden Bedarf der Branche zu decken, ist die Neulancierung der Berufslehren Solarinstallateur EFZ und Solarmonteur EBA 2024 von Swissolar und Polybau. Die Ausbildungspläne wurden in Zusammenarbeit mit Branchenvertretern in rekordverdächtiger Zeit ausgearbeitet, so dass dem Startschuss nächsten Sommer nichts mehr im Wege steht. Die Signale aus der Branche klingen jedenfalls sehr positiv: «Mit der neuen beruflichen Grundbildung können Unternehmen ihre Fachkräfte nun von Grund auf selbst ausbilden. Entsprechend hoch ist auch die Bereitschaft in der Branche, Lehrstellen anzubieten: In einer Umfrage vom Sommer 2022 gaben über 200 Solar-Unternehmen an, künftig Lernende ausbilden zu wollen. Das Potenzial lag bei rund 600 Stellen», so Rita Hidalgo, Leiterin Bildung und Wissensmanagement des Fachverbands Swisssolar. Ganz so weit ist man nun noch nicht, aber auf sehr gutem Wege. «Wir rechnen mit 200 Lernenden im Schuljahr 2024/25 in beiden Berufen zusammen. Aber umso wichtiger: Da man mit bestimmten Voraussetzungen direkt ins dritte Lehrjahr einsteigen kann, werden bereits 2025 die ersten Solarinstallateure EFZ abschliessen», so Hidalgo ergänzend.

Wir haben schon Bäcker, Kaminfeger oder Motorradmechaniker zu Solarprofis umgeschult.
Nino Joller, Head Operation Residential, Helion

Unternehmensseite ebenfalls aktiv

Auch auf Unternehmensseite herrscht ein zuversichtlicher Blick in die Zukunft. Eine Firma, welche sich ganz besonders dem Fachkräfte- und Nachwuchsmangel verschrieben hat, ist Energiespezialist Helion. Das Unternehmen, welches mittlerweile zur Amag-Gruppe gehört, gilt als einer der Pioniere der Schweizer Solarindustrie. Bereits vor einigen Jahren setzte Helion auf eine eigene Ausbildung im Solarbereich: «Damit haben wir die Ausbildung selbst in die Hand genommen und den Grundstein für unser Trainings-Center gelegt, welches wir diesen Sommer einweihen konnten», so Nino Joller, Head Operation Residential bei Helion. Und dieses Trainings-Center ist wirklich einzigartig: Es besteht aus einem Modell-Einfamilienhaus mit Schräg- und Flachdach in Originalgrösse, das praxisnahe Schulungen wie auf einer echten Baustelle zulässt. Die Anlage ist mit einer Gesamtfläche von 200 Quadratmetern die umfassendste, die in der Schweiz für erneuerbare Energien existiert: Photovoltaik, Elektromobilität, bidirektionales Laden und Wärmepumpen werden gesamthaft eingeschlossen. «Damit machen wir auch Quereinsteiger fit für die Energiewende. Dies nicht nur auf theoretischer Basis, sondern vor allem auch im praktischen Teil. Wir konnten bereits Bäcker, Kaminfeger oder Motorradmechaniker zum Solarprofi umschulen», ergänzt Joller. Aber natürlich wird das Vorzeige-Unternehmen auch Lehrlinge ausbilden. Vorausgesetzt, Helion findet geeignete und willige Jugendliche, sollen es rund 8 bis 10 Lernende pro Lehrgang werden.

Zuversichtlich in die Zukunft

Aber reichen die Roadmap-Massnahmen aus, um genügend qualifizierte Fachkräfte für den bevorstehenden Wandel bereitzuhalten? Gerade der grosse Boom im Solarbereich birgt auch Gefahren, da sich nicht wenige Elektrofachleute in diese zukunftssichere Richtung orientieren werden, was wiederrum den Mangel im angestammten Elektrobereich verstärken könnte. Wie gross schätzt Kornelia Hässig das Risiko, dass die Klimaziele wegen anhaltendem Fachkräftemangel nicht erreicht werden können? «Was bis 2050 alles passiert, kann niemand sagen. Alle kennen die Herausforderungen und wollen diese gemeinsam meistern. Das stimmt mich zuversichtlich.» Mit ersten aussagekräftigen Ergebnissen rechnet sie in den nächsten

Jahren: «Wir hoffen, dass sich erste Tendenzen in drei bis vier Jahren in unserem Monitoring zeigen werden.» Bleibt zu hoffen, dass diese Tendenzen dann auch in die positive Richtung zeigen. Eines ist aber bereits jetzt sicher, an genügend Arbeit wird es Arbeitnehmern in der Gebäudebranche in den nächsten Jahrzehnten definitiv nicht mangeln.

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Nino Joller
Nino Joller, Head Operation Residential, Helion
Quelle: Helion
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Kornelia Hässig
Kornelia Hässig, Projektleiterin Bildungsoffensive Gebäude