Die KI heizt intelligent

Gebäude sind für einen beträchtlichen Anteil des Gesamt-Energieverbrauchs verantwortlich, insbesondere das Heizen, Lüften und Klima­tisieren spielen hier eine entscheidende Rolle. Gerade bei älteren Bauten wird daher schnell der Ruf nach einer Sanierung laut. Ein probates Mittel – grosse Einsparungen sind aber bereits mit einer einfach umsetzbaren, intelligenten Heizungsregelung möglich, wie das Beispiel des Empa-Spin-offs Viboo zeigt.

NEST Gebäude
Quelle: Empa / Viboo

Die Zahlen von EnergieSchweiz lassen aufhorchen: Der Gebäudepark in der Schweiz verbraucht fast 50 Prozent der gesamten hiesigen Energie, ein Grossteil davon durch Heizen, Lüften und Klimatisieren. Mehr als eine Million Häuser gelten zudem energetisch als dringend sanierungsbedürftig. Das Problem: Eine Sanierung mit besserer Wärmedämmung, dichten Fenstern mit Mehrfachverglasung und neuer Heizung würde zwar grosse Energieeinsparungen mit sich bringen, die Gesamtkosten sind teilweise aber so hoch, dass sich Hausbesitzer diese schlichtweg nicht leisten können. «Die Renovationsrate ist in der Schweiz, trotz Fördermassnahmen, extrem tief. Sie liegt bei rund einem Prozent», so Benjamin Huber-Steinemann, CTO und Co-Founder von Viboo. Eine einfachere und viel kostengünstigere Variante, um Energie einzusparen, haben Huber-Steinemann und seine beiden Mitgründer Felix Bünning und Matthias Sulzer entwickelt: Sie setzen auf einen selbstlernenden Algorithmus, der das Heizen steuert. Eine KI regelt also bedarfsgerecht, komfortabel und energieeffizient.

Das falsche Heizen

Grundsätzlich heizen wir in der Schweiz falsch, zur falschen Zeit, am falschen Ort. Aber wir können nicht einmal viel dafür, beschwichtigt Huber-Steinemann. Wir hätten kaum andere Möglichkeiten. «In den meisten Gebäuden finden wir heute Radiator- oder Fussbodenheizungen, welche typischerweise mit analogen Thermostaten direkt am Heizkörper, oder im Fall der Fussbodenheizung mit Raumthermostaten geregelt werden», so Huber-Steinemann. Die Thermostaten messen die Raumtemperatur und vergleichen diese mit der eingestellten Temperatur. «Wir drehen also am Heizthermostaten oder am Rädchen der Steuerung, und der Raum wird aufgeheizt. Dieser Vorgang ist sehr träge und dauert seine Zeit.»

Dieses analoge Verhalten ist bekannt, das blieb natürlich auch den Herstellern der Heizthermostaten nicht verborgen. In Zeiten der kompletten Vernetzung und Digitalisierung war die Markteinführung smarter Thermostaten nur eine Frage der Zeit. Diese können per App gesteuert werden, zusätzlich lassen sich auch Heizpläne umsetzen, so dass beispielsweise nur geheizt wird, wenn auch jemand zu Hause ist. «Die Regelung erfolgt aber immer noch genau gleich und reagiert nur auf die Raumtemperatur», so der Viboo-Gründer. «Unsere Herangehensweise ist um einiges komplexer, macht es aber für den Endanwender dann umso simpler.»

Huber-Steinemann
Einer der klugen Köpfe hinter der Technologie: Benjamin Huber-Steinemann, CTO und Co-Founder von Viboo.
Quelle: Electrosuisse
Unser System ist komplett selbstlernend. Den ein­zigen Input, den wir benötigen, ist die Lage des Gebäudes für die Wetter­daten.
Benjamin Huber-Steinemann, CTO und Co-Founder von Viboo

Kampf der verlorenen Heizenergie

Viboo hat eine Lösung entwickelt, die aus den Messdaten der Thermostaten und gegebenenfalls weiteren Sensoren ein selbstlernendes, thermisches Modell erstellen kann. «Wir verknüpfen vorhandene Daten wie die Raumtemperaturen und Ventilöffnungen mit Wetterdaten. Das heisst, abhängig vom Tages­temperatur-Verlauf oder der voraussichtlichen Sonneneinstrahlung können wir den Heizbedarf von Räumen so optimieren, damit auch in den nächsten Stunden der Komfort gewährleistet wird, aber mit möglichst geringem Energieverbrauch», erläutert Benjamin Huber-Steinemann. Die jetzige Situation kennen alle. Es ist morgens bewölkt, die Heizung läuft auf Hochtouren, die Räume sind angenehm warm. Ab Mittag verziehen sich die Wolken, die Sonne lacht und ein strahlend blauer Himmel zeigt sich. Nun heizen sich die Räume durch die starke Sonnen­einstrahlung weiter auf. Die Folge, Fenster werden geöffnet, um wieder ein angenehmes Raumklima zu schaffen. Die ganze Wärme, die nun aber nach draussen gelangt, ist verlorene Heiz­energie. Genau hier setzt Viboo an.

Das Wetter kann, zumindest für die nächsten 24 Stunden, mit relativ hoher Genauigkeit vorausgesagt werden. Eine längere Voraussicht braucht das System von Viboo nicht. Komplexer sieht die Situation bei Gebäuden aus, jedes ist praktisch einzigartig. Ein älteres Gebäude besitzt weniger und kleinere Fenster, dafür sind sie vielleicht weniger dicht, andere Gebäude haben riesige Fensterfronten oder eine bessere Isolierung. Muss der Algorithmus nun auf jedes einzelne Gebäude angepasst werden? «Nein», beschwichtigt Huber-Steinemann, «unser System ist komplett selbstlernend. Den einzigen Input, den wir benötigen, ist die Lage des Gebäudes für die Wetterdaten. Den Rest erledigt unsere Software in einer Trainingszeit von ein bis zwei Wochen.»

Leicht installiert, schnell optimiert

Wer nun denkt, dass die Installation, die Software und der Betrieb aufwendig und kostenintensiv sind, hat weit gefehlt. «Smarte Thermostaten diverser Hersteller können sich mit unserer Cloud verbinden, in welcher unser Algorithmus läuft. Der Tausch vom analogen zum smarten Thermostaten ist in wenigen Handgriffen selbst für Laien kein Problem. Für ein typisches Einfamilienhaus benötigt der Endkunde also um die zehn bis zwölf smarte Thermostaten, fertig. Die Software-Lizenz ist sehr günstig und beträgt einen Franken pro Monat und Gerät», so Huber-Steinemann. Bei einer Erstinstallation inklusive Lizenzen ist man für das erste Jahr also mit rund 1000 Franken dabei. Danach fallen nur noch die Lizenz-Gebühren an. «Unsere Erfahrungen zeigen, dass man im Vergleich zu smarten Thermostaten 10 bis 15 Prozent Energie einsparen kann. Bei analogen Thermostaten sind es, je nach Model und Gebäudetyp, 20 bis sogar 40 Prozent. Die Amortisationszeit ist also sehr kurz.» Da neuere Gebäude besser isoliert sind und vielfach bereits über einen guten Energiestandard verfügen, macht die Installation insbesondere bei alten Gebäuden Sinn – bei diesen Bestandsgebäuden ist auch das Einsparpotenzial am grössten.

Einziger Wermutstropfen: Vorerst wird die Viboo-Technologie nur öffentlichen Einrichtungen sowie Geschäftskunden angeboten, da wichtige Softwareschnittstellen-Features seitens der OEM leider noch fehlen. «Zur nächsten Heizperiode wollen wir Viboo aber auch Privatanwendern anbieten können», erhofft sich der Gründer.

Thermostat
Im Vergleich: Ein klassischer, analoger Thermostat (links) und das smarte, Viboo-fähige Pendant.
Quelle: Electrosuisse

Diverse Zukunftsszenarien

Ein ausgeklügelter Algorithmus, der lernt, wie sich ein Gebäude verhält und dadurch intelligent den Heizbedarf steuern kann –, da stellt sich die Frage, könnte diese Technologie auch im Sommer benutzt werden, nämlich für das Kühlen von Gebäuden? Tatsächlich hat Viboo in den hauseigenen Nest-Wohneinheiten bereits damit herumexperimentiert. «Mit Erfolg», wie Huber-Steinemann bestätigt, «wir konnten auch hier rund 20 Prozent Energie einsparen.» Es brauche aber weitere Tests und Entwicklungen, um auch in den Markt eintreten zu können. Der momentane Fokus liege ganz klar beim Thema Heizen.

«Wenn man nun aber noch weiter in die Zukunft blickt, dann eröffnen sich beim Thema Gebäude noch ganz andere Möglichkeiten», so Huber-­Steinemann. Gebäude könnten in Zukunft als eine Art virtuelle Batterie dienen, die unser Stromnetz stabilisieren könnten, ist sich der Viboo-­Mitgründer sicher. «Der Ausbau an PV-Anlagen und Windkraft, der Einsatz zahlreicher Wärmepumpen und Ladestationen für E-Autos, all dies beansprucht unser Netz – mal ist viel Strom vorhanden, mal weniger. Wir können aber mit unserer Technologie die thermische Masse und Trägheit der Gebäude ausnutzen und im Verbund die Steuerung, berücksichtigend auf diverse Faktoren wie Komfort oder Energiekosten, so optimieren, dass ein netzdienlicher Energiebezug entsteht.» Das sei zwar noch Zukunftsmusik, aber mit Viboo sind dann auch Themen wie «Demand Response», also eine kurzfristige, bewusste Verbraucherlastveränderung als Reaktion auf Energiepreisanpassungen, möglich. «Momentan konzentrieren wir uns aber hauptsächlich darauf, alte Gebäude mit erschwinglichen Mitteln und wenig Aufwand energietechnisch bestmöglich zu optimieren», meint Benjamin Huber-Steinemann abschliessend.

viboo.io