Michi Keel: «Das war die härteste und zugleich lehrreichste Zeit meines Lebens»
Simplee ist ein noch junges Unternehmen und zählt dennoch bereits zu den führenden Anbietern in der E-Mobility. Hinter ihm liegen bewegte Jahre – ein Anlass, mit Gründer und Geschäftsführer Michi Keel über prägende Erfahrungen und eine elektrisierende Zukunft zu sprechen.
Simplee gehört heute zu den Top-Anbietern in Sachen Ladeinfrastruktur in der Schweiz. Doch jede Erfolgsgeschichte hat ihren Anfang: Wie kam es zur Gründung und welche Vision stand damals im Vordergrund?
Michi Keel: Die Geschichte begann 2018, als ich bei Invisia arbeitete. Als die Wege zwischen Invisia und mir im Sommer 2018 auseinandergingen, bot sich für mich die Gelegenheit, Wallbe Schweiz zu übernehmen, ein Unternehmen, das Ladestationen des deutschen Start-ups Wallbe vertrieb. Ich traf eine für mich mutige Entscheidung und investierte mein gesamtes Kapital, da mich diese Branche damals schon enorm interessierte. Ich hatte die Möglichkeit, mein aufgebautes Wissen aus der Installationswelt mit einem zukunftsorientierten und innovativen Wachstumsmarkt zu verbinden.
Meine Mitinhaberin Deborah Bottana, mit der ich bereits bei Invisia gearbeitet hatte, entschied sich, diesen Weg mit mir zu gehen. Im Januar 2019 starteten wir gemeinsam. Wir verfolgten ein klares Ziel: keine reinen Produktimporte, sondern Aufbau und Transformation von Wissen, die Entwicklung und der Vertrieb zukunftsfähiger, innovativer Ladelösungen. So begann unser gemeinsamer Weg als Unternehmer in der E-Mobility-Branche.
Die Zusammenarbeit mit eurem heutigen Partner Easee begann aber erst später?
Michi Keel: Genau, zunächst waren wir Partner von Wallbe Deutschland. Bei einem Besuch der E-Move-Messe in München hörten wir zum ersten Mal von Easee – einem damals kaum bekannten Hersteller aus Norwegen. Das Land war bereits damals einer der fortschrittlichsten Märkte für Elektromobilität. Ein neues Unternehmen, das sich in einem so anspruchsvollen Umfeld behaupten möchte? Das machte uns neugierig.
Wir durchsuchten das Internet und stiessen nach längerer Suche auf eine einfache Landingpage. Dort war ein Rendering der ersten Easee-Ladestation zu sehen. Als wir das Design sahen, waren wir sofort begeistert. Doch es überzeugte nicht nur das Äussere. Sollte die Technologie halten, was sie versprach, war für uns klar: Das musste unser Produkt werden.
Wir kontaktierten Jonas Helmikstøl, den Mitgründer – seine Handynummer war damals noch auf der Website veröffentlicht. Das erste Gespräch verlief ungewöhnlich: Ich stellte mich vor und erklärte, für wen ich arbeite. Er befand sich mitten in der Start-up-Phase und gab nur wenige Informationen preis. Ich hingegen stellte gezielte Fragen zum Produkt. Trotz der Zurückhaltung und Anspannung war die gegenseitige Sympathie sofort spürbar. Und obwohl man uns zunächst von einem Besuch abriet, weil Easee zu jenem Zeitpunkt noch nicht einmal ein fertiges Produkt hatte, reisten wir kurz danach nach Norwegen. Der persönliche Eindruck bestätigte unser Gefühl: Das ist unser Produkt und das sind die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten wollten. Es war in der ersten Sekunde ein perfect match! So entstand die Partnerschaft mit Easee, die bis heute besteht.
Es folgten erfolgreiche Jahre in einem boomenden Markt und Simplee wurde zu einem der wichtigsten Akteure im Schweizer Markt für Ladelösungen. Dann kam das turbulente Jahr 2023 mit dem Verkaufsverbot von Easee-Produkten in Schweden. Was genau ist damals passiert?
Michi Keel: Ende Februar 2023 erhielt ich einen Anruf von einem langjährigen Geschäftspartner. Er berichtete, die schwedische Marktaufsicht prüfe die Produkte von Easee. Ich kontaktierte sofort meinen Ansprechpartner bei Easee, um den Sachverhalt zu klären. Es zeigte sich, dass die Behörde tatsächlich Produkte mehrerer Hersteller und deren Dokumentationen untersuchte. Easee stand bereits seit einiger Zeit mit der Marktaufsicht in Kontakt und beantwortete alle Fragen fristgerecht. Diese Antworten reichten jedoch nicht aus, um das Verfahren abzuschliessen. Die Behörde verlangte nicht nur Erklärungen, sondern eine nach offiziellen Vorgaben erstellte vollständige Dokumentation der Produkte.
Easee hatte diesem Punkt als junges, schnell wachsendes Unternehmen zu wenig Beachtung geschenkt. Da eine saubere Dokumentation fehlte, verhängte die Marktaufsicht ein Verkaufsverbot. Nur ein schwacher Trost war, dass die Behörde zugleich ausdrücklich erklärte, sie habe keine Hinweise auf Sicherheitsmängel gefunden. Denn in der Öffentlichkeit entstand dennoch oft der Eindruck, das Verbot gehe auf Sicherheitsprobleme zurück. Das führte zu grosser Verunsicherung.
Die Nachrichten haben in der Branche für viel Aufsehen gesorgt. Wie habt ihr davon erfahren und wie war diese Situation für euch als Unternehmen?
Michi Keel: Für uns kam das völlig überraschend. Noch zwei Tage vor dem Verkaufsverbot hatten wir mit unserem Ansprechpartner bei Easee gesprochen – er versicherte uns, alles sei unter Kontrolle. Ich bin heute noch überzeugt, dass er dies mit seinem Wissen über die Situation wirklich geglaubt hat. Dann kam die Nachricht. Uns war sofort klar: Das wird ein grosses Thema. Wir versammelten umgehend das gesamte Team. Unser Leitprinzip war klar: Transparenz und Haltung. Wir machten deutlich, dass wir zu Easee stehen. Solange nicht bewiesen ist, dass absichtlich falsch gehandelt wurde, sehen wir keinen Grund, uns zurückzuziehen. Als einziger Schweizer Easee-Landespartner tragen wir auch die Verantwortung gegenüber unseren Kunden und Partner.

Wie habt ihr die Kommunikation mit euren Kunden gestaltet?
Michi Keel: Die Situation war enorm anspruchsvoll. Wir wollten proaktiv handeln, verfügten aber oft selbst nur über wenige Informationen. Uns war es ein grosses Anliegen, dass wir alles Erdenkliche tun, um unsere Kunden in dieser Situation zu unterstützen. Hierbei ging es nicht um Umsatz oder Absatz, sondern um die Einhaltung unserer Werte. Viele Fakten mussten wir uns eigenständig erarbeiten, durch intensive technische Prüfungen und einen engen Austausch mit Easee. Gerade in diesem Moment zahlte sich unsere technische Ausrichtung aus: Wir kannten das Produkt bis ins Detail. Wir konnten nachweisen, dass alle sicherheitsrelevanten Funktionen, etwa der integrierte RCD, einwandfrei arbeiten. Das hat Vertrauen geschaffen.
Demnach gab es nie Zweifel an der Sicherheit der Easee-Ladelösungen?
Michi Keel: Nein, nie. In einer solchen Situation ist es entscheidend, Ruhe zu bewahren und Fakten zu klären. Wir haben das Produkt mehrfach gründlich geprüft. Unser Anspruch war und ist: Wir verkaufen nur, was wir auch technisch verstehen. Deshalb wussten wir, dass dieses Produkt sicher ist. Diese Einschätzung teilten nicht nur wir. Auch Spezialisten, darunter eines der bekanntesten Prüfinstitute, der TÜV Süd, bestätigten die Sicherheit in mehreren Untersuchungen. Am Ende ging es um ein Thema der Kommunikation und Dokumentation – nicht um ein sicherheitstechnisches Problem.
Die Unsicherheiten im Markt trafen Easee hart, das Unternehmen musste europaweit Stellen im grossen Stil abbauen, es drohte gar die Insolvenz. Wie stark war Simplee betroffen?
Michi Keel: Wir waren natürlich ebenfalls stark betroffen von diesem Vorfall, da wir fast vollständig vom Produkt von Easee abhängig waren. Das war uns von Anfang an bewusst. Besonders herausfordernd war die Situation in Bezug auf unseren Fokus. Die Opportunitätskosten waren enorm. In den Jahren 2023 und 2024 haben wir viel Arbeit geleistet, vor allem, um Easee und dadurch auch uns selbst zu stabilisieren und den angeschlagenen Ruf wieder aufzubauen. Dabei haben wir wertvolle Zeit verloren. Aber heute sind wir zurück.
Tatsächlich war 2023 aber in Bezug auf unsere Teamgrösse das stärkste Wachstumsjahr in unserer Geschichte. Während Easee in Europa stark reduzieren musste, haben wir aus Überzeugung bewusst investiert. Natürlich war das nicht ohne Risiko. Doch wir waren fachlich so tief in der Materie, dass wir Vertrauen hatten, dass wir diese Zeit überstehen werden.
Wie habt ihr auf die Entwarnung vom ESTI im Frühjahr 2024 reagiert?
Michi Keel: Das war ein unglaublicher Moment. Genau ein Jahr nach dem Verkaufsverbot in Schweden meldete uns das ESTI, dass es den Fall abgeschlossen habe. Zufällig fand an diesem Tag ein grosses Teamevent statt, und ich konnte die Nachricht live mit dem Team teilen. Es war ein emotionaler Augenblick. Ein Jahr voller Arbeit, Unsicherheit und Hochleistung – und dann dieser Moment. Trotz Erleichterung war uns allen bewusst, dass wir nochmals Höchstleistungen erbringen mussten, um wieder dorthin zu gelangen, wo wir vor der Krise standen. Deshalb gab es kein Durchatmen, sondern ein erneutes Ärmelhochkrempeln.
Und wie war diese herausfordernde Zeit für Sie persönlich?
Michi Keel: Wenn ich zurückblicke, war dies die wohl härteste Zeit meines Lebens, zugleich aber auch die lehrreichste. Wir erlebten eine Krise und standen vor der Frage, ob wir fähig sind, solche Herausforderungen zu meistern. Viel entscheidender war jedoch, ob wir unsere Werte in dieser Situation nicht nur betonten, sondern auch konsequent lebten, nach innen wie nach aussen. Diese Monate haben mir deshalb viel gegeben. Auch wenn ich sie niemandem wünsche, möchte ich sie persönlich nicht missen. Wiederholen muss sich diese Zeit jedoch nicht.
Im AC-Bereich mit den Easee-Ladelösungen ist das Unternehmen stark aufgestellt. Im DC-Bereich war es gefühlt lange ruhig. Warum?
Michi Keel: Nach aussen wirkte es vermutlich ruhig, weil wir in der Kommunikation bewusst den strategischen Fokus auf Easee legten. Hinter den Kulissen konnten wir jedoch zahlreiche aussagekräftige Referenzprojekte mit Alpitronic-DC-Ladestationen realisieren und ein tiefes Know-how in diesem Bereich aufbauen. Dabei geht es nicht nur um Produktwissen, sondern um umfassende Erfahrung entlang des gesamten Lebenszyklus einer DC-Infrastruktur. So konnten wir, meines Wissens nach, das erste Megawatt-Charger-Projekt der Schweiz gemeinsam mit Alpitronic gewinnen.
Mit Wallbox habt ihr neu einen zusätzlichen DC-Partner. Wieso dieser Schritt?
Michi Keel: Die Entscheidung war stark emotional, ähnlich wie damals bei Easee. Ich muss etwas ausholen: Während der Unsicherheiten rund um Easee erhielten wir Dutzende Anfragen anderer AC-Hersteller, ob wir nicht ihre Lösungen vertreiben möchten statt Easee. Dies war absolut kein Thema für uns hätte gegen unsere Werte verstossen.
Jedoch kam so der Kontakt zum Wallbox-DC-Team zustande. Im AC-Bereich stand ein Wechsel für uns nie zur Diskussion. Doch im DC-Bereich, wo wir keine exklusive Vertretung in der Schweiz hatten, wurde es interessant, eine Portfolioergänzung anzuschauen. Also reisten wir zu Wallbox nach Barcelona. Dort spürten wir sofort: Diese Menschen ticken wie wir – mit Leidenschaft, technischem Verständnis und einer starken Unternehmenskultur. Es war ein echtes Match.
Ein weiterer entscheidender Punkt: Mit Wallbox können wir auch Serviceleistungen anbieten, etwas, das mit Alpitronic aufgrund ihrer strategischen Ausrichtung nur eingeschränkt möglich war. Genau das war für uns ausschlaggebend. Denn wir wollen den gesamten Service-Lebenszyklus gemeinsam mit unseren Kunden gestalten. Dies erhöht die Agilität und Flexibilität von uns und dadurch die Kundenzufriedenheit, da wir diesen so kürzere Wartezeiten bieten können.
Seit Kurzem bietet ihr mit Onepole auch eigene Säulenlösungen. Nun seid ihr bald Komplettanbieter im E-Mobility-Bereich …
Michi Keel: Onepole ist ein weiteres wichtiges Puzzleteil, um unser Portfolio vollständig abzudecken. Unser Ziel: für jede Ladesituation die passende Lösung bieten. Mit Onepole konnten wir den Innovationsführer im Bereich Ladesäulen gewinnen, den wir in der Schweiz exklusiv vertreten. Früher setzten wir auf Standardsäulen. Bei Onepole ist das anders: Das Unternehmen konzentriert sich ausschliesslich auf Ladesäulen. Und das merkt man sofort, jedes noch so kleine Detail wird durchdacht. Sitzt alles an der richtigen Stelle, erfüllt es einen klaren Zweck, fügt es sich ins Gesamtkonzept? Weil uns bei den Standardsäulen bestimmte Varianten und Funktionen fehlten, traten wir mit Onepole in Kontakt und haben nun eine extrem flexible Ladesäule im Portfolio. Sie lässt sich exakt so konfigurieren, wie es der Endkunde benötigt.
Ihr seid im Gegensatz zu den anderen Easee-Vertretungen im Ausland relativ unbeschadet durch die schwierigen Zeiten gekommen. Gab es je Überlegungen, Simplee auch im Ausland zu positionieren?
Michi Keel: Diese Überlegungen gab es tatsächlich, respektive hat uns Easee sogar angefragt, ob wir unser Schweizer Modell in weiteren Märkten ausrollen möchten. Doch für uns war klar: Zuerst müssen wir in der Schweiz exzellent sein. Wenn wir expandieren, dann mit Bedacht und nicht, weil es gerade im Trend liegt. Unsere Stärke liegt in unserem tiefen Marktverständnis, der engen Beziehung zu unseren tollen Partnern und unserer gelebten Unternehmenskultur. Und genau das lässt sich nicht einfach kopieren.
Simplee ist ein noch sehr junges Unternehmen und hat dennoch schon viele Höhen und Tiefen erlebt. Wo steht ihr zum 10-Jahr-Jubiläum?
Michi Keel: Wir haben noch lange nicht genug! Und wir werden uns treu bleiben, weiterhin mutige, ehrliche Entscheidungen treffen, auch wenn sie mal unpopulär sind. Ich wünsche mir, dass wir weiterwachsen, aber mit Bedacht. Und dass wir mit unserem super Team – mit Partnern und Kunden – weiterhin gemeinsam unterwegs sind. Mit Teamspirit, Passion, Anspruch an Exzellenz und Verantwortung und mit einem klaren Ziel: der beste Partner für unsere Kunden zu sein. Wie unser Motto halt lautet: gemeinsam vorwärts!