Stadtteile neu denken

Von Stadtentwicklung zu Gebäudeautomation: Dass intelligente Gebäude nicht aus dem Boden gestampft werden müssen, zeigen immer mehr Beispiele. Eines davon ist «Pirelli 35» in Mailand. Gleich nebenan steht der moderne Wolkenkratzer «Gioia 22», der fast autark funktioniert. Ein Besuch im nachhaltigsten Geschäftsviertel Italiens.

Pirelli 35 - modernes Gebäude in Milano
Einstige Zentrale des Reifenherstellers und Wahrzeichen von Milano: Das Gebäude «Pirelli 35» wurde komplett renoviert und mit smarter Gebäudetechnik ausgestattet.
Quelle: Siemens / Coima

Heizen, kühlen, lüften und alle weiteren Funktionalitäten, die Energie benötigen – rund 40 Prozent der CO₂-Emissionen stammen von Gebäuden. Ein Sektor, in dem sich der Nachhaltigkeits-Hebel besonders wirkungsvoll ansetzen lässt.

Grundwasserbasiertes HLK-System mit freier Kühlung

Wir befinden uns in Porta Nuova, dem Mailänder Stadtteil, der durch das bewachsene Hochhaus «Bosco Verticale» bekannt geworden ist. So modern die Fassaden des neue Viertels, so innovativ die darin verborgene Technologie. Und diese beginnt, genau genommen, schon im Boden darunter, nämlich bei der Nutzung von Geothermie: Aus der obersten Grundwasserschicht, die über das ganze Jahr hinweg über 15-grädiges Wasser verfügt (und nicht für Trinkwasser verwendet wird), gelangt das Wasser in einen nach wie vor unterirdischen Kreislauf, vom dem aus verschiedene Büro-, Geschäfts- und Wohnimmobilien versorgt werden – im Sommer zum Kühlen, im Winter zum Heizen. Die Rückspeisung erfolgt über einen anderen Kreislauf, von dem aus das chemisch unveränderte Wasser aus der Stadt befördert wird, um es in der Landwirtschaft für Bewässerungszwecke einzusetzen.

Dadurch wird schon beträchtlich Energie gespart. Besonders bei hohen Temperaturen ist der Bedarf an Kühlung in der Metropole gross. Wer die sommerliche Hitze hier schon einmal erlebt hat, kann sich vorstellen, wie viel Energie das Herunterkühlen von Gebäuden mit herkömmlichen Klimaanlagen verbraucht.

Das in Porta Nuova ansässige Unternehmen Coima investiert, entwickelt und verwaltet Immobilien im Auftrag institutioneller Investoren. Im Rahmen der nachhaltigen Renaissance des Stadtteils ist es am Wiederaufbau diverser Gebäude beteiligt – mit Renovationen, Umnutzungen und Neubauten. Porta Nuova, das Areal eines ehemaligen Abstellbahnhofs, war das erste Viertel der Welt, das die beiden Zertifizierungen «LEED» und «WELL» erhielt. Die Stadtentwicklung wird dort also bis hin in die Gebäudeautomation gedacht.

Pirelli 35: Vom Altbau zum smarten Gebäude

Pirelli 35, ein 45 000 Quadratmeter grosses Gebäude mit elf Stockwerken und 40 gewerblichen Mietern, ist für nicht weniger als 3000 Leute ausgelegt. Die ursprüngliche Zentrale des Reifenherstellers wurde 1960 fertiggestellt und zum Wahrzeichen der Stadt. Bekannt wurde das damals höchste Gebäude Europas zum Beispiel auch durch die Inszenierung im Filmklassiker «La Notte» von Michelangelo Antonioni. Coima und Siemens Smart Infrastructure haben den historischen Gewerbebau in eine intelligente und energieeffiziente Immobilie transformiert, die 60 Prozent weniger Energie verbraucht und 2000 Tonnen weniger CO₂-Emissionen pro Jahr verursacht als zuvor.

Gioia 22 - modernes Hochhaus in Milano
Was beim Anblick von «Gioia 22» verborgen bleibt, ist die moderne Gebäudetechnologie, die ohne fossile Brennstoffe betrieben wird.
Quelle: Siemens / Coima

Das integrierte Gebäudemanagementsystem «Desigo CC» (von Siemens) koordiniert sämtliche Betriebsabläufe in einem zentral überwachten System – und bietet ein hohes Mass an Cybersicherheit. Gebäudemanager überwachen sämtliche Lösungen und Systeme wie Heizung, Lüftung, Klimatechnik, Beleuchtung, Raumautomation, Brandschutz und Stromverteilung über 24 Stunden hinweg und können dadurch eine hohe Betriebseffizienz und Zuverlässigkeit gewährleisten. Das wiederum verbessert die Langlebigkeit der Anlagen und sorgt für eine uneingeschränkte Geschäftskontinuität.

Pirelli 35 ist mit modernster Sensorik ausgestattet, die gleichzeitig sieben verschiedene Umweltparameter überwacht, darunter die Luftqualität, der Energieverbrauch und CO₂-Gehalt. Dies senkt nicht nur den Ressourcenverbrauch, sondern führt auch bei den Gebäudenutzern zu mehr Wohlbefinden und Sicherheit sowie einer höheren Produktivität.

In Grossstädten liessen sich mittels Digitalisierung auch viele andere Gebäude in intelligentere und energieeffizientere Anlagen umwandeln. Susanne Seitz, CEO Buildings bei Siemens Smart Infrastructure, erklärt: «Seit 2015 setzen wir gemeinsam mit Coima die Gebäudetechnik und -services in mehr als 30 Gebäuden in Mailand um. Pirelli 35 ist ein Paradebeispiel für nachhaltige urbane Regeneration. Es zeigt, wie Immobilien mithilfe von Gebäude- und Elektrifizierungstechnologien modernisiert werden können, um die europäischen Netto-Null-Ziele für 2030 zu erreichen und gleichzeitig das architektonische Erbe zu erhalten.»

Gioia 22: Bereit für Netto-Null

Das neuste Aushängeschild der Stadtentwicklung in Porta Nuova ist ein Neubau mit 30 Stockwerken, der Platz bietet für 2800 Leute. Gioia 22 ist Italiens grösstes «Fast-Netto-Null»-Gebäude, dessen Funktionen ohne fossile Energieträger auskommen. Das 120 Meter hohe Geschäftsgebäude verfügt über 6000 Quadratmeter in die Fassade integrierte Photovoltaik-Paneele, die im Jahr 750 000 kWh Strom produzieren und damit über 65 Prozent des jährlichen Energiebedarfs decken. Zum hocheffizienten NZEB-Design (siehe Kasten) gehören zudem eine hocheffiziente Gebäudehülle mit Dreifachverglasung und Sonnenschutz sowie eine LED-Beleuchtung mit Tageslichtsensoren. Dadurch verbraucht das Geschäftshaus um rund 75 Prozent weniger Energie als ein konventioneller Büroturm neuerer Bauart. Im Vergleich zum vorherigen Gebäude wurden CO2-Emissionen um 2260 Tonnen pro Jahr gesenkt.

Auch für dieses Geschäftshaus lieferte Siemens Smart Infra­structure die Gebäudetechnik, Elektrifizierung, Automatisierung, Sicherheits- und Schutzsysteme sowie das Gebäudemanagementsystem.

Nachhaltigkeit & Gesundheit

Die Infrastruktur in Pirelli 35 und Gioia 22 umfasst «Simosec»-Mittelspannungsschaltanlagen, «Alpha»-Niederspannungsverteiler mit «Sentron»-Schutzgeräten und Schaltschränke für die Systemsteuerung. Über das integrierte Gebäudemanagementsystem «Desigo CC» erfolgt die HLK-Steuerung, Brandschutz, TVCC-Systeme, Zugangskontrolle, Einbruchsicherung und Stromverteilung. Diese Lösung bietet ein hohes Mass an Cybersicherheit und koordiniert alle Betriebsabläufe in einem zentral überwachten System.

Beide Gebäude haben die LEED-Platin-Zertifizierng und das NZEB-Label erhalten. Pirelli 35 verfügt über eine WELL-Gold-Zertifizierung und Gioia 22 über eine WELL-Silver-Zertifizierung. LEED («Leadership in Energy and Environmental Design») ist ein Bewertungssystem für grünes Bauen. Der WELL-Standard bewertet die Gesundheit und das Wohlbefinden der Gebäudenutzer. NZEB steht für «Nearly Zero-Energy Building», wobei hohe Energieleistung und geringer -bedarf im Mittelpunkt stehen.

Interessant ist schliesslich, dass Coima einen Energy Manager eingestellt hat, der vollzeit die Daten sämtlicher Liegenschaften analysiert, um den Ressourcenverbrauch grossflächig zu optimieren und Wartungssituationen zu antizipieren. Dieses kontinuierliche «Remote Monitoring» kommt letztendlich sowohl den Mietern als auch den Nutzern zugute, die von diesem Spezialisten laufend Tipps für weitere Optimierungen für sämtliche Aspekte der Gebäudetechnik erhalten.

siemens.ch | coima.it